Kultur wächst aus der Begegnung

Diese These des Literaturnobelpreisträgers Octavio Paz könnte die düstere Kulturkampfdebatte nachhaltig erhellen. Die Medien vermitteln den Eindruck, dass das Miteinander von Menschen verschiedener Kulturen schwer geworden sei. Kann sein, dass es bloß die Lust am Konflikt ist, die uns glauben macht, dass wir uns in einem „Kulturkampf“ befinden. Kann sein. Eines steht auf jeden Fall außer Streit: Die dumpfen Parolen rechter Gruppen, die eine nationale Monokultur einfordern, haben an Platz gewonnen. Aufgeklärte Standpunkte, etwa jenen von der Geschwisterlichkeit der Kulturen, den Lessing seinem Nathan auf der Bühne verkünden ließ, haben es zweieinhalb Jahrhunderte später schwer, in diesem fremdenfeindlichen Gejohle vernehmbar zu bleiben. Warum ist das so? Warum?

Die Mechanismen sind einfach. Jene, die uns einreden, dass das Andere, das Fremde eine Bedrohung bedeute, sprechen dunkle Bereiche in uns an. Sie nähren die latente Verführung, anderen überlegen sein zu wollen. Vermengt mit der im christlichen Raum nach wie vor wuchernden Anmaßung, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein, führt dieses Gefühl der Überlegenheit geradewegs in die Abwertung von Menschen anderer Kulturräume.

„Wer Fehler bei anderen sucht, kann seine eigenen nicht sehen“, sagt Mahatma Gandhi und spricht jene Verlockung an, die sich anbietet, wenn Unerfreuliches im eigenen Heim verdrängt werden soll. Es tut aber gut, sich immer wieder den eigenen Schwächen zu stellen. Erst dann, in der Auseinandersetzung mit seinen hellen und dunklen Seiten, wird der Weg frei für Entwicklung. Und dass auch die Seelen Deutsch sprechender Menschen finstere Kammern aufweisen, hat das letzte Jahrhundert zur Genüge gezeigt.

Der Mexikaner Paz, der Deutsche Lessing und der Inder Gandhi – welch faszinierende Mischung! An ihr orientiere ich mich in der Diskussion um das Miteinander verschiedener Kulturen und kehre zurück zu Octavio Paz: „Jegliche Kultur wächst aus der Begegnung, der Vermischung, dem Schock.“ Dieser Poet ist kein Träumer, sondern ein konstruktiver Menschenfreund. Natürlich ist die Begegnung mit Fremdem, mit anderen Kulturen immer mit Beunruhigung verbunden, aber sie ist es, die Altes in Frage stellen, Neues suchen und entstehen lässt und – darauf kommt es letztlich an – Bewegung in eine Kultur bringt. Bewegung aber ist Leben. Und das wollen wir. Alle. So gut, wie es ein intakter Planet Erde zulässt.

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