Elisabeth Escher: Hannas schlafende Hunde

„Schwarze Raben sieht sie. Nichts als schwarze Raben.“
Elisabeth Eschers dunkler Prosa-Extrakt „Hannas schlafende Hunde“

 Angelegt als Lebensgeschichte von drei Frauen spannt der Text „Hannas schlafende Hunde“ einen Bogen von rund einem halben Jahrhundert. Im Zentrum steht das Mädchen Hanna. Deren jüdische Großmutter und Mutter entgehen mit Glück der Deportation durch die Nazis; sie selbst erlebt Jahrzehnte später – mittlerweile Lehrerin geworden und verheiratet – die brisanten Probleme nicht gelingender Integration und zerstörender Vorurteile ebenso wie die hoffnungslose Lebenslage eines Spielgefährten und Vertrauten ihrer Kindheit: Willi, „ein krankes, süchtiges Etwas, dem Tod näher als dem Leben“ (S. 54), ist HIV infiziert und schwer drogenabhängig. Alles, was Hanna ihm geben kann, sind ein paar „Scheine“, nicht mehr als eine „Sterbehilfe“ (S. 55).
Damit sind die dunklen Eckpunkte der Geschichte abgesteckt, für die die Bezeichnung „Roman“ zu hoch gegriffen ist. Dazwischen liegen an die 25 Episoden, eine düsterer als die andere, in denen die „schlafenden Hunde“ Hannas sozusagen geweckt werden: Kindesmissbrauch im Keller, nationalsozialistische Rassentheorie im Klassenzimmer, sexuelle Nötigung, Auswüchse autoritärer Erziehung, hobbymäßig betriebene Tierquälerei des älteren Bruders und eine beklemmend enge Vaterfigur in einem katholischen Zuhause, das regelmäßig von den „schwarzen Raben“ der Geistlichkeit heimgesucht wird – Elisabeth Eschers Buch ist ein Streifzug durch praktisch alle finsteren Nischen, die von der österreichischen Literatur seit 1950 aufgesucht und ausgiebig dargestellt wurden.
Helle Wegstrecken sind rar: Sie erzählen von einer mutigen, aufrechten Lehrerin, die die jüdische Herkunft von Hannas Mutter Katharina vor den Nazis zu verbergen weiß und dabei ihr eigenes Leben riskiert, oder von der gütigen und weisen blinden Großmutter, für die Hanna alles Gesehene so in Sprache umsetzt, dass für die alte Frau die Welt in den Worten der Enkelin „sichtbar“ wird. „Hinter den Augen ein See voller Wörter“ (S. 9) – so umreißt die Enkelin in ihrem Tagebuch ihren Dienst an Großmutter Juliane. Im abschließenden Kapitel „Zaubertal“ erlebt sich die am Beginn ihrer Pubertät stehende Hanna „im Paradies“ (S. 136), im „himmlischen Garten“ (S. 135): Unentdeckt für andere, ohne „einzige Menschenseele“, erfährt Hanna eine befreiende Einheit mit der Natur:

„Der weiche Moosteppich unter den Füßen machte die Schritte fast unhörbar, wenn das Mädchen über die schmalen Bäche sprang, die unvermittelt aus dem Boden sprudelten, um bald darauf wieder in der Unterwelt zu verschwinden.

Der Duft von Kresse und Maiglöckchen, von feuchten Wurzeln und Moos ergab ein süßlich herbes, berauschendes Luftgemisch.

Hannas Herzschlag vermischte sich mit den Vogelstimmen und das Mädchen hatte das Gefühl, gleichzeitig im Moos zu versinken und in den Himmel zu fliegen.“ (S. 136)

Passagen wie diese belegen, dass das Buch auch stilistisch nicht voll überzeugt. Mitunter greift die Autorin zu problematischen sprachlichen Bildern, denen es an Stimmigkeit und sprachschöpferischer Kraft mangelt. Dass die in Salzburg lebende und literarisch vielseitig wirkende Elisabeth Escher über diese aber durchaus verfügt, davon zeugen Pro- und Epilog sowie die meisten jener lyrischen Splitter, die einzelnen Kapiteln vorangestellt sind.
Im Anschluss an den Text folgt ein Inhaltsverzeichnis, das mangelndes Vertrauen der Autorin in ihr Erzählverfahren verrät: Bei insgesamt sechs Kapiteln heißt es dort in Klammer: „Zeitsprung zurück“ oder “Zeitsprung vorwärts“. Diese überflüssigen Informationen sind bedauerlich, denn die jeweilige Erzählsituation macht das Spiel mit verschiedenen Zeitebenen ohnehin deutlich genug.
Zusammenfassend muss zu Elisabeth Eschers „Hannas schlafende Hunde“ gesagt werden, dass dieser Text häufig diskutierte Themen der österreichischen Nachkriegsliteratur mit erheblicher „Verspätung“ plakativ aufgreift und in der Konzentration des Dunklen mehr will, als einem starken Text zuträglich ist.

Herbert Först

 Textprobe:

„Und nun könnte die Visite des Ministerialbeamten mit einem Mal den dünnen Sicherheitskokon, den Katharinas regulärer Schulbesuch darstellte, durchbrechen. Der Spezialist für Volksreinheit könnte ohne Weiteres Frau Leebs Aufzeichnungen in den Klassenkatalogen in Frage stellen und die nötigen Dokumente anfordern, die Katharinas Abstammung ans Licht brächten.

Es wäre das Ende. Auch das der Lehrerin, der wichtigsten Beschützerin, ohne die die beiden Schwestern niemals hier wären – sondern

Und dieses unvorstellbare Sondern war mit einem Mal durch die bevorstehende Ankunft des Beamten für Rassenhygiene und Volksgesundheit  in bedrückende Nähe gerückt.

Mit einem kalten Windstoß kam der fast schmächtig wirkende Mann in schwarzem Anzug und Hakenkreuzbinde um den Oberarm in das Klassenzimmer. Katharina war, als ob ihn eine Sturmböe hereinbefördert hätte. Sie blickte von ihren Füßen auf und diesem hereingewehten Mann direkt ins Gesicht.

Sie musste es mit ihm aufnehmen, Fluchtgedanken und Unsichtbarkeitswünsche im Gesicht wären verräterisch. Mit einem Mal war ihr Zittern geglättet, das Beben verebbt, nur ein großer, dunkler Hass diesem Mann und dem Regime gegenüber, dem er und alle, alle angehörten, füllte sie aus.“ (S. 78f.)

 

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