Möglicherweise Hilfreiches für die Arbeit an/mit literarischen Texten

A) Wie sprachliche Zeichen in einem literarischen Text zu verstehen sind
Von Denotation und Konnotation eines Wortes

WORT – das ist ein „Zeichen mit Bedeutung“.
Beispiel „Nachtigall“:

  • Denotation – das ist die lexikalische Bedeutung eines Wortes:
    ahd. nahtagala – bes. in Laubwäldern und dichtem Gebüsch versteckt lebender, unscheinbar rötlich-brauner Singvogel mit sehr melodischem Gesang                    
  • Konnotation – das ist Summe aller kulturell bedingten und persönlichen Assoziationen eines Wortes, sozusagen dessen „Aura“: wegen ihres süßen und zugleich klagenden Gesanges ein Symbol der Liebe, aber auch der Sehnsucht und des Schmerzes; in der Antike galt ihr Gesang als glückliches Omen; in der christl. Symbolik Sinnbild der Himmelssehnsucht; …
    Andere Beispiele: Lamm, Abend, Nacht, Frühling, Rose, …
  • SACHTEXT – der SINN liegt in der Regel in den Wortbedeutungen, die das Lexikon, also die Sprachnorm festlegt.
  • LITERARISCHER TEXT – er ist grundsätzlich ANDERS: der SINN liegt nicht allein in den einfachen, lexikalischen Wortbedeutungen, sondern …
    … im Zusammenwirken von zwei Bereichen:
    – dem Bereich der sprachlichen Mitteilung
    – und dem Bereich der ästhetischen Form: Sprache als Material für künstlerisches Gestalten, für künstlerischen Ausdruck (vergleichbar mit Farben, Tönen, dem menschlichen Körper, …)
  • In einem literarischen Text entsteht somit ein feinmaschiges Netz („Gewebe“; zu beachten ist die Wortbedeutung von „Text“/„Textilien“) von tiefer liegenden Bedeutungen, das jenes weit übersteigt, das an der Oberfläche auf den ersten Blick zu erkennen ist.
    „EVOKATION des poetischen Textes“ meint das Aufrufen von latent vorhandenen Begriffen, bildhaften und symbolischen Bedeutungen; das Herstellen von Beziehungen zu anderen Texten, zu religiösen und philosophischen Vorstellungen, zu persönlichen Erfahrungen.

DICHTUNG lässt uns Sprache in ihrer funktionalen Vollkommenheit erleben, als „INSTRUMENT der WELTDEUTUNG“ (siehe „Im Anfang war das Wort …“, „… und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser“)
Ein literarischer Text übersteigt somit den Erkenntniswert eines Sachtextes um ein Vielfaches.
Franz Kafka spricht in diesem  Zusammenhang von der „Expedition nach der Wahrheit“.

 

B) Sinnvolle SCHRITTE bei der BESCHREIBUNG/ INTERPRETATION epischer TEXTE:

  1. Ich freue mich, dass mir jemand von einer wichtigen Erfahrung (einer neuen Möglichkeit zu denken, zu leben …) erzählen möchte; von einer Erfahrung, die meinen Horizont weiten könnte.
  2. Ich lese den Text und beobachte mich dabei: Welche Gefühle löst er in mir aus?
  3. Nach dem ersten Lesen frage ich mich, ob ich schon Themen entdeckt habe und ob ich den Stoff interessant genug finde, um noch weitere Zeit dem Text zu widmen.
  4. Nun beginnt die Arbeit am Text: Ich beschreibe die Welt, in die mich der Erzähler führt, also den Ort, die Zeit, die Menschen und ihr Milieu und das Geschehen.
  5. Ich beschäftige mich ausführlich mit den Menschen, denen ich begegnet bin: mit ihrer Charakterstruktur, ihren Beziehungen (Figurenkonstellation) und Motiven.
  6. Ich frage mich, wer mir diese Geschichte erzählt. Was ist das für ein Mensch? Erzählt er sachlich, ironisch, humorvoll …? Will er mich belehren oder lässt er mir viel Freiraum?
  7. Ich untersuche den Bau, also die Struktur des Textes, suche also nach Sinnabschnitten, Höhe- und Wendepunkten und widme mich besonders dem Einstieg und dem Ende des Textes.
  8. Wenn ich den Bau des Textes „durchschaut“ habe und weiß, aus wie vielen Handlungssträngen das Geschehen geflochten ist, stelle ich die Frage nach der epischen Form: Roman, Novelle, Kurzgeschichte, Märchen, …?
  9. Erzählen ist ein Nacheinander in der Zeit. Ich untersuche das Verhältnis von erzählter Zeit und Erzählzeit. Wie geht der Erzähler mit der Zeit um? Gibt es auffällige Raffungen, Dehnungen, Rückblenden oder Vorausdeutungen?
  10. Neben der Struktur trägt auch die Sprache den Gehalt eines Textes: Wie erlebe ich den Stil?
  11. Der Wortschatz ist oft der Schlüssel zum thematischen Kern: Entdecke ich Leitwörter? Werden bestimmte Wortarten bevorzugt eingesetzt? Welche Wörter prägen die Grundstimmung des Textes?
  12. Nun widme ich mich den sprachlichen Bildern, genieße die metaphorische Kraft der Sprache.
  13. Sind mir in der Geschichte Symbole begegnet?
  14. Ich versuche nun den Rhythmus der Sprache zu erleben und lese Passagen, die mich besonders angesprochen haben, laut. Hat der Rhythmus etwas mit Satzbau und Satzlänge zu tun?
  15. Habe ich auch andere Möglichkeiten sprachkünstlerischen Gestaltens entdeckt, beispielsweise Stilfiguren oder eine auffällige Interpunktion?
  16. Bei all diesen Schritten konzentriere ich mich auf die Aspekte, die ergiebige Ergebnisse erwarten lassen.
  17. Nun informiere ich mich über die Entstehung des Textes, die biografische Situation des Autors/der Autorin und frage mich nach einer möglichen Zielgruppe.
  18. Hat sich meine erste Vermutung hinsichtlich Thematik/Intention bestätigt (Schritt 3)?
  19. Abschließend stelle ich mir noch folgende Fragen: Was kann der Text mir persönlich in mein Leben mitgeben? Hat er in mir etwas bewirkt? Warum hat er mir nichts sagen können?
  20. Natürlich nehme ich mir die Freiheit, einen erzählenden Text, zu dem ich trotz Bemühens keinen Zugang gefunden habe, wegzulegen. Vielleicht eröffnet er sich mir zu einem späteren Zeitpunkt.

C) ASPEKTE bei der Beschreibung epischer Texte

1. WELT

  • Ort
  • Zeit (Epoche, historischer Hintergrund)
  • Figuren (Milieu, Beziehungen, Konflikte …)

2. HANDLUNG

3. ERZÄHLFORM/ERZÄHLPERSPEKTIVE

  • Ich-Erzählsituation: Ich-Erzähler erzählt aus seiner persönlichen Perspektive.
  • auktoriale Erzählsituation: Allwissender Erzähler agiert als Vermittler zwischen fiktiver Welt der Geschichte und Welt der LeserInnen.
  • personale Erzählsituation: Ein scheinbar abwesender Erzähler erzählt die Geschichte aus der Perspektive einer handelnden Figur und hat somit Zugang in das Innere dieser Figur.

4. DARBIETUNGSFORM

  • Erzählerrede (vor allem in Bericht und Beschreibung)
  • Figurenrede:
    • direkte Rede
    • erlebte Rede
    • innerer Monolog

5. ZEIT

  • erzählte Zeit
  • Erzählzeit
  • Erzähltempo
    • raffendes, dehnendes und zeitdeckendes Verfahren
    • Rückblenden
    • Vorausdeutungen

6. GESTALTUNG der FIGUREN

  • direkte Charakterisierung
  • Selbstcharakterisierung
  • Fremdcharakterisierung
  • indirekte Charakterisierung

7. SCHAUPLÄTZE und ORTE: nie zufällig, sondern von großer Bedeutung für …

  • Atmosphäre
  • Sinngehalt im Zusammenhang mit der Geschichte

8. … und natürlich die SPRACHE

 

D) Möglichkeiten, sich einem Gedicht zu nähern:

  1. Ich versuche, mich einem Gedicht zu nähern, möchte mit ihm vertraut werden, möchte mit ihm etwas sehen, hören, erfahren, begreifen …
  2. Ich lasse mich auf ein Gedicht nur dann ein, wenn ich weiß, dass ich etwas Zeit habe.
  3. Ich lese das Gedicht und frage mich, welche Stimmung es in mir hinterlässt.
  4. Ich frage mich, ob ich vielleicht schon ein Thema entdecken kann.
  5. Ich widme mich ausführlich dem Titel und den ersten Versen, untersuche aber auch die letzten (Summation!) und rolle das Gedicht unter Umständen von der Zusammenfassung her auf.
  6. Ich suche nach ähnlichen Aussagen, nach Variationen der Grundaussage.
  7. Ich schreibe alle sinntragenden Wörter heraus und ordne sie: nach Wortarten, Stimmungs-bereichen, Wortfeldern. Welches Beziehungsgeflecht ergibt sich? Ist der Wortschatz im Ganzen oder teilweise auffällig?
  8. Ich schreibe alle Metaphern heraus und freue mich an der Anschaulichkeit des Textes. – Sind die Metaphern verständlich, oder handelt es sich um Chiffren, die sich der logischen Erfassung entziehen?
  9. Ich untersuche den Satzbau und frage mich, ob er der Norm entspricht. Wenn nicht, warum wohl?
  10. Ich befasse mich mit möglichen Nahtstellen im Gedicht, mit wichtigen Gelenkstellen: Rahmen? Achse? Schlägt die Stimmung an einer Stelle um? – Satzzeichen können solche Nahtstellen signalisieren: Doppelpunkt, Fragezeichen, Bindestrich …
  11. Ich lese das Gedicht laut, „erhorche“ den Rhythmus und frage mich, was er für den Text leistet. Abweichungen im Rhythmus können dabei besonders ergiebig sein. Auch die Beschreibung des Metrums kann aufschlussreich sein.
  12. Ich untersuche, ob die Klanggestalt des Textes auch ein Beziehungsgeflecht der Laute erkennen lässt: Reime, auffällige Folgen von Vokalen und Konsonanten.
  13. Ich versuche schließlich, das sogenannte „lyrische Ich“ zu fassen, seine Einstellung, Gestimmtheit zu charakterisieren. Denn das „lyrische Ich“ möchte mir im Gedicht etwas zeigen, mir sagen, was es „gesehen hat“, was es erfahren hat, wie es etwas „gesehen“, erlebt hat, was es begriffen hat.
  14. Wenn mir die „Botschaft“ des Textes trotz allem verschlossen bleibt, so ist das kein Grund enttäuscht zu sein. Ich lege das Gedicht beiseite und …
  15. Wenn mir eine „Botschaft“ aufgegangen ist, frage ich mich, wie ich auf sie reagiere, was sie für mich bedeutet. Letztlich gestehe ich mir aber ein, dass ich das Gedicht zwar „erfasst“ habe, es aber noch lange nicht kenne: Denn es wird mir beim nächsten Mal wieder etwas Neues

 

E) Häufig anzutreffende STILFIGUREN

Definition: eine von der normalen Sprechweise abweichende sprachliche Gestaltungsform, die als Stilmittel zur Verdeutlichung, Veranschaulichung oder auch Ausschmückung eingesetzt wird; manchmal verstoßen sie um der Wirksamkeit willen gegen grammatische Normen.

Anapher: Wiederholung von Wörtern oder Wortgruppen an Vers- oder Satzanfängen – Ich bin auf die Welt gekommen. Ich bin geworden. Ich bin gezeugt worden.
Antithese: Gegenüberstellung von Gedanken und Begriffen – Friede den Hütten! Krieg den Palästen!  Chiasmus: Kreuzstellung – Ein Dirigent sollte nicht den Kopf in der Partitur, sondern die Partitur im Kopf haben.
Ellipse: Verkürzung, Weglassen von nicht unbedingt notwendigen Satzteilen – Ende gut, alles gut.
Euphemismus: beschönigende Umschreibung – … friedlich entschlafen.
Hyperbel: Übertreibung – Wie immer ist es der Balken im eigenen Auge!
Paradoxon: scheinbar unsinnige, alogische Behauptung, die bei genauerer Analyse auf eine Wahrheit verweist – Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren.
Parallelismus: gleiche Anordnung von Wörtern/Satzteilen in aufeinanderfolgenden Sätzen/Satzteilen – Der König sprach, der Page lief, …
Parenthese: eingeschobener Satz – So weit ein Tyrann blicket – und Deutschland hat deren wohl dreißig -, verdorret Land und Volk.
Periphrase: Umschreibung – Was sagt Rom zur Theologie der Befreiung?
Wiederholung von Wörtern und Satzteilen zum Zwecke der Eindringlichkeit – Er siegt und siegt und siegt.
Zeugma: durch eine sprachwidrige Einsparung entstehende Verbindung von zwei oder mehreren Satzgliedern – Er brachte die Höhle zum Einstürzen und die Königstochter nach Hause.

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